Reinhard, Franz Volkmar - Von der Pflicht, Geduld mit sich selbst zu haben.
Predigt am Sonntage Sexagesima 1800 über Luk. 8, 4-15.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo. Amen.
Wenn wir von der Beschaffenheit einer wahren christlichen Besserung; wenn wir von den Regungen des neuen sittlichen Lebens, das bei den echten Bekennern Jesu entstehen muss; wenn wir von den Erfahrungen, welche damit verknüpft sind, und von den Veränderungen sprechen sollen, durch die es bald gestört, bald befördert, bald geschwächt, bald gestärkt wird, meine Zuhörer, so befinden wir uns nicht selten in einer ganz eignen Verlegenheit. Wer noch ganz fleischlich gesinnt ist, wer von jener großen inneren Umänderung, welche die Schrift so wahr und bedeutend eine neue Geburt nennt, noch gar nichts weiß der versteht uns nicht, wenn wir diese Geheimnisse berühren; wir mögen noch so deutlich davon reden, noch so bestimmt darauf hinzeigen, ihm ist Alles rätselhaft und ohne Sinn: der natürliche Mensch vernimmt einmal nichts vom Geiste Gottes. Ihm ist es, wie der Apostel nur allzu richtig hinzusetzt, oft sogar eine Torheit; er glaubt die Träume betörter Schwärmer, die überspannten Gefühle verirrter Menschen darin wahrzunehmen, die selbst nicht wissen, was sie wollen, und die Geißel des Spottes verdienen; er betrachtet uns mit Verachtung, wenn wir dergleichen heiligen Unsinn, wie er es nennt, vortragen. Doch dies könnten wir uns noch gefallen lassen. Aber eine Menge von Gegenständen, die hierher gehören, sind so zart; eine Menge von Fragen, die wir da beantworten sollen, sind so vieldeutig; eine Menge von Entscheidungen, die wir hier geben müssen, können so leicht missverstanden und übel angewendet werden, dass wir in Gefahr sind, selbst denen, die nicht ohne geistliche Erfahrung sind, zuweilen anstößig zu werden oder etwas zu sagen, dass sie entweder nicht genug fassen oder nicht vorsichtig genug gebrauchen und befolgen. Und gleichwohl dürfen wir nichts weniger vernachlässigen, als gerade diese schwierigen Gegenstände. Die ganze Frucht unsrer Bemühungen hängt davon ab, dass wir euch in euer Inneres führen; dass wir euch zu einem Gefühle dessen zu bringen suchen, was die Kraft der Wahrheit und der damit verknüpfte Einfluss des Geistes Gottes in euch verändert, dass wir euch bei den Erfahrungen, welche euch da zuteilwerden, mit unserm Rate zu Hilfe kommen, und euch leiten, trösten und ermuntern.
Ich erwähne die Schwierigkeiten, mit denen wir hier zu kämpfen haben und die Verlegenheit, in die sie uns sehen, nicht umsonst, meine Zuhörer; das Evangelium, über welches ich jetzt sprechen soll, gehört ganz in den Kreis der inneren geistlichen Erfahrung, über die man sich so schwer erklären und verständlich machen kann und führt mich heute auf einen jener zarten Gegenstände, die mit der größten Vorsicht behandelt werden müssen, wenn sie nicht unrichtig gefasst und eine Gelegenheit zu schädlichen Missverständnissen werden sollen. Der Herr erwähnt es im Evangelio als eine vorzügliche Eigenschaft derer, welche er das gute Land nennt, dass sie Frucht bringen in Geduld. Er beschreibt sie also als Menschen, die es fühlen, bei der wahren Sinnesänderung lasse sich nichts übereilen; die sich nicht daran stoßen, wenn das Gute nur langsam bei ihnen gedeiht, und die Fortschritte fast unmerklich sind; die sich des feinen guten Herzens, in welchem sie das Wort bewahren, zwar bewusst sind, aber den Mut nicht verlieren, wenn dieses Wort nicht in der Geschwindigkeit aufwächst und Ähren treibt; die nur, es kurz zu sagen, standhaft auszudauern und Geduld mit sich selbst zu haben wissen.
Geduld mit sich selbst sollen die haben, welche besser werden, welche Frucht bringen wollen. Sehet hier eine Forderung Jesu, die von der größten Bedeutung und Wichtigkeit ist; deren Wahrheit Jeder fühlen wird, dem es nicht ganz an innerer Erfahrung fehlt; die wir euch vortragen und einschärfen müssen, meine Zuhörer, wenn wir für euer Wachstum im Guten sorgen und euch dabei zu Hilfe kommen wollen. Aber wie schwer ist es, diese Forderung zu erklären und gegen die Missverständnisse zu verwahren? Wie leicht kann sie denen, die ein reger, lebendiger Eifer treibt, die sich darnach sehnen, es im Guten weiterzubringen, anstößig werden und verwerflich scheinen. Wie leicht kann die Trägheit sie missbrauchen, und sie zu einer Entschuldigung ihrer Nachlässigkeit machen? Wie leicht können die Neigungen unsers Herzens sie ergreifen, und unter ihrem Schutze Unarten und Fehler schonen, an deren Beibehaltung ihnen gelegen ist! Doch mit euch, die ihr noch gar nichts wisset von dem Leben, das aus Gott ist, rede ich heute nicht; euch wird Alles unverständlich sein, was ich zu sagen habe. Auch an euch sind meine Belehrungen nicht gerichtet, Unglückliche, die ihr noch nicht redlich genug seid; die ihr euch zwar zuweilen mächtig ergriffen und erschüttert fühlet, aber ohne es zu einer gänzlichen Veränderung kommen zu lassen; die ihr Licht und Finsternis, Christum und Belial gerne miteinander vereinigen möchtet. Zu euch Allen spreche ich heute, ihr Alle, die ihr euch mit Zustimmung eures Gewissens für gutes Land halten könnet; die ihr der Sünde ganz entsagt habt und mit ungeteiltem Herzen das Gute liebt; die ihr gerne viel leisten und hundertfältige Frucht bringen möchtet; euch, und zwar euch allein habe ich die Forderung einzuschärfen, dass ihr Geduld mit euch selbst haben müsst. Möchtest du, der du gekommen bist, der erstorbenen Menschheit ein neues sittliches Leben zu geben, auch diese Stunde fruchtbar für dasselbe werden lassen, und deinem Worte Kraft schenken, Herr Jesu! Um diese Gnade bitten wir in stiller Andacht.
Evangelium: Luk. 8, 4-15.
Ich habe die Worte des vorgelesenen Evangelii bereits ausgezeichnet, meine Zuhörer, deren Sinn uns diesmal beschäftigen soll.
Sie bringen Frucht in Geduld, sagt Jesus von denen, die er als das gute Land beschreibt, die durch die Kraft seiner Lehre wirklich gebessert werden; und es fällt in die Augen, dass er mit diesen Worten ein Ausdauern, eine Beharrlichkeit, ein gelassenes stetiges Streben verlangt, wo man bei keiner Schwierigkeit den Mut verliert, und auch bei dem langsamsten Fortschritt nicht ermüdet. Dies ist aber die wichtige Forderung, von der ich heute sprechen wollte; auf die Pflicht, Geduld mit sich selbst zu haben, wollte ich euch diesmal aufmerksam machen. Lasst mich diese Pflicht erklären, sie beweisen; und zu ihrer glücklichen Ausübung einige Erinnerungen beifügen.
Wenn es irgendeine Pflicht bedarf, meine Zuhörer, dass man sie genau erkläre, dass man bestimmt anzeige, worin sie bestehe, so ist es die Pflicht, Geduld mit sich selbst zu haben. Es ist nämlich hier nicht von jener Trägheit die Rede, die Alles, was sie leisten soll, aus Gemächlichkeit so lange als möglich verschiebt und sich über die Vernachlässigung, oder schlechte Beobachtung ihrer Obliegenheiten gar keine Vorwürfe macht. Sich so schonen, heißt nicht Geduld mit sich haben, sondern sich verzärteln und verwöhnen. Eben so wenig ist jene Nachsicht hier gemeint, mit der man sich gewisse Fehler und Sünden verzeiht, an deren Ausrottung man arbeiten sollte, und sich dabei mit der menschlichen Schwachheit entschuldigt; sich so nachgeben, heißt nicht Geduld mit sich haben, sondern sich der Gewalt unordentlicher Neigungen überlassen. Am allerwenigsten darf man hier an jene Ruchlosigkeit denken, wo man sich jede Ausschweifung erlaubt und sich mit unverschämter Stirne darauf beruft, man könne ja nichts für die Heftigkeit seiner Triebe und für den Ungestüm seines Temperaments; sich einer solchen Ausgelassenheit hingeben, heißt nicht Geduld mit sich haben, sondern ein Sklave seiner Lüste sein. Mit Geduld darf und soll bloß der sich behandeln, meine Zuhörer, der sich des besten Willens und der redlichsten Absichten vor Gott bewusst ist; dem sein Gewissen das Zeugnis gibt, er habe ein feines gutes Herz, er gebrauche die Kräfte eifrig, die Gott ihm darreicht, und lasse es an seinem Teile an echter Pflichttreue nicht mangeln; der schon gezeugt ist, wie Jacobus es ausdrückt, durch das Wort der Wahrheit und in der Kraft eines lebendigen Glaubens an Gott und Jesum an seiner Besserung ernstlich arbeitet. Einem solchen wird es täglich fühlbarer und klarer, wie viel er sein und leisten sollte; das Ziel der Vollkommenheit, welches ihm vorgesteckt ist, erhält immer mehr Glanz in seiner Seele, scheint ihm aber auch immer entfernter; er muss sich den unendlichen Abstand, in welchem er sich von demselben befindet, immer mehr gestehen, und das Mangelhafte dessen, was er leistet, mit Beschämung und Demütigung wahrnehmen. Aber was soll er bei solchen Umständen tun? Soll er an sich selbst verzagen, und die Hoffnung, jemals reife Früchte zu bringen, aufgeben? Oder soll er sich übereilen, und mit einem hastigen Eifer erzwingen wollen, was sich nicht erzwingen lässt? Beides würde fehlerhaft sein, das ist offenbar; es bleibt ihm also nichts übrig, als Geduld mit sich selbst zu haben; oder welches einerlei ist, auf keine Weise darüber betreten zu sein, wenn er auch bei der redlichsten Anstrengung nicht so viel Fortschritte im Guten machen kann, als er wünscht, und einen bessern Erfolg seiner Bemühungen ruhig abzuwarten. Die pflichtmäßige Geduld, welche man mit sich selber haben soll, ist also das Gegenteil von einer verzweifelnden Zaghaftigkeit auf der einen und von einer Alles erzwingenden Heftigkeit auf der andern Seite und besteht in der Gelassenheit, wo man sich beim Bewusstsein, einer wahren Pflichttreue alle die Zeit lässt, welche zur Erreichung guter Endzwecke erforderlich ist. Man muss also, um es noch bestimmter zu sagen, was zu dieser Geduld gehört, beim Streben nach Wahrheit, bei der Besserung des Herzens und bei der Ausübung des Guten sich die gehörige Zeit nehmen; zieht jeden dieser Punkte besonders in Erwägung.
Schon beim Streben nach Wahrheit ist es Pflicht, Geduld mit sich selbst zu haben. Je ernsthafter wir sind, meine Zuhörer, je lebendiger das Gefühl von Pflicht in uns wird, je mehr echter, christlicher Sinn sich in uns regt; desto teurer wird uns die Wahrheit; desto mehr wird es uns Bedürfnis, unsern Einsichten Klarheit und unsern Überzeugungen Festigkeit zu geben; desto mehr wünschen wir insonderheit über die wichtigsten Angelegenheiten, die ein vernünftiges Geschöpf haben kann, über unsre Bestimmung und unser Verhältnis gegen Gott mit uns selbst eins zu werden. Aber welch ein Geschäft ist das! Wie viel Anstrengung und Mühe kostet es! Welche Dunkelheiten müssen zerstreut, welche Schwierigkeiten aufgelöst, welche Bedenklichkeiten überwunden werden, ehe es zu einer gründlichen Erkenntnis kommen kann! Und wird dieses ganze Forschen nach Wahrheit nicht gerade dem Redlichen, nicht gerade dem, der Alles genau nimmt und die strengste Gewissenhaftigkeit dabei beweist, am schwersten? Allein hier ist es eben, wo es Pflicht für euch wird, Geduld mit euch selbst zu haben. Es kann euch schon lange misslungen sein, mehr Licht über Dinge zu erhalten, die euch äußerst wichtig sind; werdet nicht ängstlich, erlaubet euch keinen stürmischen Ungestüm; lasst euch Zeit, das so lang ersehnte Licht kann euch aufgehen, wenn ihrs gerade am wenigsten erwartet. Ihr habt euch vielleicht schon lange mit Zweifeln getragen, die Hauptsachen betreffen und euern Glauben wankend machen wollen, und noch ist es euch bei dem redlichsten Eifer nicht möglich gewesen, sie zu überwinden; werdet nicht ängstlich, erlaubet euch keinen stürmischen Ungestüm; lasst euch Zeit, die so lang ersehnte Auflösung eurer Zweifel wird sich mit der Zeit wohl finden. Es hat euch vielleicht schon oft wehe getan, dass eure Überzeugungen die Wirksamkeit und Kraft nicht haben, die sie haben sollten und dass eure Bemühungen, sie lebendiger zu machen, bisher fruchtlos gewesen sind; werdet nicht ängstlich, erlaubet euch keinen stürmischen Ungestüm; lasst euch Zeit, ihr werdet finden, dass eure Erkenntnis, wenn ihr nur redlich seid, nach und nach immer mehr Einfluss erhält. Ihr nehmt es vielleicht mit der schmerzlichsten Demütigung wahr, dass der Glaube mancher Menschen so freudig, ihre Überzeugung so siegreich, ihr Vertrauen so unerschütterlich ist und dass ihr euch mit allen euern Bemühungen kaum über ein zweideutiges Wanken erheben könnet; aber werdet nicht ängstlich, erlaubet euch keinen stürmischen Ungestüm; lasst euch Zeit; ihr werdet, wenn ihr nur fortfahret redlich zu sein, Alles in euch ruhiger, fester und heiterer werden sehen. Schon beim Streben nach Wahrheit ist es Pflicht, Geduld mit sich selbst zu haben.
Sie tritt aber auch bei der Besserung des Herzens ein, diese Pflicht. Denn wenn man irgendwo in Geduld Frucht bringen muss, meine Zuhörer, so ist es hier. Sich bessern, heißt nicht bloß die lasterhaften Gewohnheiten ausrotten und die groben Fehler ablegen, welche man an sich hat: es heißt auch alle kleine Unarten vertilgen; es heißt seine Gesinnungen von aller Unlauterkeit reinigen; es heißt, den Vorsatz Gutes zu tun herrschend in sich machen; es heißt sich eine entschiedene Gewalt über alle seine Neigungen erkämpfen; es heißt seinem Innern eine Ordnung, eine Übereinstimmung geben, wo Alles dem heiligen Gesetze Gottes gemäß ist und auf die Erfüllung desselben hinstrebt; es heißt recht eigentlich ein neuer Mensch, eine Kreatur werden, die nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. Hier nichts zu übereilen, hier nicht verzagt zu werden, wenn nicht Alles sogleich gelingen will; hier misslungene Versuche zu wiederholen, so oft sie auch schon vereitelt worden sein mögen: das heißt Geduld mit sich selber haben. Schon Jahre lang kämpftest du wider eine böse Gewohnheit und sie ist noch nicht überwunden; habe Nachsicht mit dir selber, und fahre nur gelassen fort; du wirst unter dem Beistande Gottes siegen. Schon Jahre lang ringst du mit den Fehlern deines Temperaments und ihre Spuren sind noch vorhanden; habe Nachsicht mit dir selber und fahre nur gelassen fort; unter dem Beistande Gottes werden sie sich immer mehr verlieren. Schon Jahre lang hast du mit einer unbändigen Neigung zu tun und sie ist noch nicht bezähmt; habe Nachsicht mit dir selber und fahre nur gelassen fort; unter dem Beistande Gottes wirst du ihrer noch mächtig werden. Schon Jahre lang streitest du wider Bewegungen des Herzens, wider Regungen deiner Begierden, wider Anwandlungen des Eigennutzes und der Sinnlichkeit, die dein Gewissen missbilligt, und noch immer beflecken sie dein Inneres und mischen sich in deine besten Bestrebungen; habe Nachsicht mit dir selber und fahre nur gelassen fort, dich ihnen zu widersetzen; unter dem Beistande Gottes wird es dir immer mehr gelingen, ein reines Herz zu erlangen. Ihr werdet mich verstehen, ihr Alle, die ihr gewohnt seid, auf euch selbst zu merken, und mit Ernst, mit Furcht und Zittern, wie der Apostel sagt, zu schaffen, dass ihr selig werdet. Ach, oft sinkt euch fasst der Mut; oft vergeht euch alle Geduld, oft verzweifelt ihr fast daran, dass eine gründliche Umänderung bei euch zu Stande kommen werde; ihr könnet es kaum länger aushalten, vergeblich gegen unbezwingliche sich immer wieder einfindende Unarten zu kämpfen. Und doch behaupte ich, Gelassenheit, eine Gelassenheit, die sich Zeit lässt und ihre Versuche unablässig wiederholt, sei hier Pflicht für euch; auch bei der Besserung des Herzens muss man Geduld mit sich selber haben.
Dies gilt dann endlich auch von der Ausübung des Guten. Zur glücklichen Verrichtung desselben reicht bekanntlich der gute Wille noch nicht hin; man kann es herzlich gut meinen, kann voll edlen Eifers sein, seine Pflicht zu tun, und doch Alles verkehrt anfangen oder doch nur wenig ausrichten. Um gute Handlungen mit Erfolg und Nutzen zu vollenden, muss man das nötige Geschick haben, muss Klugheit und Übung besitzen, muss tausend kleine Vorteile und günstige Umstände zu gebrauchen und tausend kleine Schwierigkeiten und Hindernisse, deren Einfluss oft höchst nachteilig ist, zu entfernen wissen. Aber glaubet ihr, dass dieses Geschick, diese Klugheit und Übung, diese weise Benutzung der Umstände sich in der Geschwindigkeit erlangen lasse; fordern nicht die gemeinsten Geschäfte, wenn sie gelingen sollen, gewisse Handgriffe, die man erst nach und nach, erst nach einer Menge von unvollkommenen Versuchen lernt? Geduld, meine Brüder, Geduld werdet ihr also auch da mit euch selber haben müssen, wo von der Ausübung, von der Vollbringung des Guten die Rede ist. Ihr nehmt euch täglich vor, eure Berufsgeschäfte mit aller nur möglichen Pünktlichkeit und auf das Beste zu verrichten, und zu euerm großen Verdrusse gelingen sie euch selten so gut, als ihr wünscht; ihr widmet den Werken der Kunst oder der Wissenschaft, die ihr hervorbringen sollet, allen euch möglichen Fleiß, und doch bleiben sie zu eurer großen Demütigung tief unter dem vollendeten Urbild, das ihr davon in der Seele traget; ihr habt den ernstlichen Vorsatz, euch bei wichtigen Verrichtungen, bei bedeutenden Aufträgen, bei Leistung großer Pflichten mit männlichem Mute, mit fester Entschlossenheit, mit unerschütterlicher Fassung zu betragen, und zu eurer empfindlichen Beschämung verlässt euch im Augenblicke des Handelns Alles, ihr verlieret eure Besonnenheit und entledigt euch eurer Schuldigkeit nur unvollkommen; ihr seid entschlossen, bei gewissen Übungen der Religion, bei gewissen Äußerungen der Frömmigkeit die ernsthafteste Sammlung und die innigste Andacht zu beweisen und ach, ihr fühlet euch träge, gleichgültig, zerstreut, sobald es dazu kommt und euer Herz, welches sich darnach gesehnt hatte, kommt leer und ohne Nutzen davon zurück; es vergeht mit einem Worte kein Tag eures Lebens, wo ihr euch nicht sagen müsstet, wie viel besser und vollkommener bald dies, bald jenes hätte ausfallen können und sollen. Was sollet ihr tun bei solchen Erfahrungen? mutlos werden; an euch selbst verzagen; euch einem vergeblichen Unwillen überlassen; in einer Art von grimmiger Erbitterung neue Versuche wagen? Was würdet ihr gewinnen, wenn ihr so verfahren, so mit euch selbst gleichsam zürnen wolltet? Ich behaupte, auch hier sei es Pflicht für euch, Geduld mit euch selbst zu haben; bei aller Wehmut über das Misslingen dessen, was ihr mit aller Treue verrichtet hattet, gleichmütig und gelassen zu bleiben und, da sich hier einmal nichts erzwingen lässt, euch selbst mit einer Nachsicht zu behandeln, die in jeder Hinsicht gerechtfertigt werden kann.
Doch dies war eben das Zweite, wovon ich reden wollte; ich wollte beweisen, dass die Geduld mit uns selbst, die ich bisher nach ihrer Natur und nach ihren Äußerungen beschrieben habe, wirklich Pflicht für uns sei. Es wird euch schon bei dieser Erklärung eingeleuchtet haben, meine Zuhörer, wie sehr sie mit unsrer Natur und unsern Verhältnissen übereinstimme; aber es ist der Mühe wert, dies noch vollständiger ins Licht zu setzen. Es lässt sich nämlich dartun, dass es vernünftig, christlich und nützlich sei, Geduld mit sich selbst zu haben; dass uns die Natur der Dinge, die Religion und die Klugheit dazu verbinde.
Es ist vernünftig, Geduld mit sich selbst zu haben; schon die Natur der Dinge verbindet uns dazu. Würde es nicht töricht sein, wenn wir dem Acker zur Hervorbringung seiner Früchte die erforderliche Zeit nicht lassen, wenn wir daraus, weil er sich nicht in wenig Stunden oder Tagen mit reifen Ähren bedeckt, den Schluss ziehen wollten, er sei ein schlechter unfruchtbarer Boden? Würde es nicht töricht sein, wenn wir auf das Unkraut, auf die Dornen und Disteln, von denen auch der beste Acker nicht ganz frei bleibt, auf die Beschaffenheit der Witterung, die auch der hoffnungsvollsten Saat nachteilig werden kann, gar keine Rücksicht nehmen, sondern allen Schaden auf die Rechnung des Bodens allein sehen wollten? Lasst mich ohne Bild reden. Jede Kraft in der Natur ist an gewisse Regeln gebunden, und kann ihre Wirkungen nur nach und nach und in einer festgesetzten Ordnung hervorbringen; jede Kraft in der Natur hat mit gewissen Hindernissen zu kämpfen und wird in ihren Äußerungen durch andre beschränkt, die neben ihr vorhanden sind. Man muss also jeder Kraft Zeit lassen, wenn man vernünftig handeln will; man muss ihr nicht Dinge zumuten, die mit der allgemeinen Ordnung streiten; man muss nicht vergessen, den Widerstand in Anschlag zu bringen, den sie erfährt. Muss dies Alles nicht von uns selber gelten? Ist unser Wesen nicht eben den Gesetzen unterworfen, welchen die übrige Natur gehorcht? Ist nicht auch seine Entwickelung an eine Ordnung geknüpft, von der wir uns nicht entfernen können? Und findet nicht gerade die Bildung unsers Geistes, die Besserung unsers Herzens, die Übung unsrer Kräfte zu guten Handlungen, unzählige Schwierigkeiten in und außer uns. Und es wäre nicht vernünftig, Geduld mit uns selbst zu haben, wenn nicht Alles so gut, so schnell, so glücklich von Statten geht, als zu wünschen wäre; es wäre nicht unverzeihliche Torheit, auf Einrichtungen zu zürnen, die nicht in unsrer Gewalt sind, wider Anstalten sich aufzulehnen, welchen die ganze Natur unterworfen ist? Sind wir uns unsers guten Willens bewusst; können wir uns vor unserm Gewissen das Zeugnis geben, dass wir an unserm Teile getan haben, was uns möglich war: so ist es Pflicht, dass wir uns in Ansehung alles Übrigen mit Nachsicht betrachten, dass wir uns Zeit lassen und gleichmütig bleiben, wenn der Erfolg unsern Anstrengungen auch nicht entspricht; diese Geduld mit uns selbst ist vernünftig.
Sie ist aber auch christlich, die Religion verbindet uns ebenso sehr zu derselben. Mit lebendigem Glauben an Gott, mit herzlichem Vertrauen zu Gott durch Christum, mit inniger, ehrfurchtsvoller Liebe gegen Gott müssen wir handeln, meine Brüder, wenn unser Verhalten christlich sein soll; dann muss Zufriedenheit mit allen seinen Führungen herrschende Gesinnung bei uns werden. Dürfen wir aber unwillig darüber werden, dass unsre Bildung und Besserung Anstrengung und Zeit kostet, wenn wir Glauben an Gott haben; erkennen wir dann in dieser Einrichtung nicht sein Werk, nicht eine Ordnung, der wir Unterwerfung schuldig sind? Dürfen wir verzagt oder ungehalten auf uns selber werden, weil uns bei dem besten Willen und der redlichsten Anstrengung so viel Gutes misslingt, wenn wir Vertrauen zu Gott durch Christum haben? Wissen wir dann nicht, dass er das Herz ansieht und den guten Willen für die Tat gelten lässt? Sind wir dann nicht überzeugt, dass unser ganzes Tun unter seiner Aufsicht steht, und dass mithin selbst die Schwierigkeiten, welche wir finden, und die uns Alles erschweren, mit zu seinem Rat über uns gehören? Nehmen wir's dann nicht für bekannt an, dieser Rat sei selbst dann wohltätig und weise, wenn er unsrer Sinnlichkeit, unsern ungeduldigen Neigungen, unserm voreiligen Eifer beschwerlich ist? Denn seid ihr Christen, erkennet ihr Gott wirklich für euern Vater durch Christum, fühlet ihr gegen ihn echten Kindessinn, so kann es euch nicht befremden, dass er euch gerade bei eurer Besserung und Bildung nur langsam fortschreiten lässt. Weise, väterliche Erziehung erblicket ihr dann in Allem, was er euch widerfahren lässt. Soll aber diese Erziehung nicht gründlich sein? Kann sie ohne Züchtigung stattfinden? Würdet ihr, wenn ihr ohne Züchtigung bliebt, nicht Bastarde sein, wie der Apostel sagt, und nicht Kinder? Wie nun, wenn noch manche Unlauterkeit bei euch zu vertilgen ist; wenn ihr noch von mancher Unart entwöhnt werden müsst; wenn es nötig ist, euern Stolz zu demütigen, euern Leichtsinn zu bändigen, euch in der Unterwerfung zu üben, euch ein eitles Selbstvertrauen zu nehmen: kann dies anders geschehen, als dadurch, dass euch Gott mit Schwierigkeiten kämpfen und euch euer Unvermögen fühlen lässt; und würdet ihr seinen väterlichen Rat ehren, wenn ihr ungeduldig werden und nicht mit Gelassenheit stille halten wolltet? Wisset ihr endlich als Christen nicht, dass die ganze Ewigkeit euer ist, dass ihr nicht das Mindeste dabei verlieret, wenn ihr jetzt langsam, aber desto vorsichtiger und sicherer fortschreitet, dass ihr, wenn ihr jetzt über Weniges treu seid, einst über viel gesetzt werden sollet? O ihr dürfet nur mit christlichem Vertrauen und kindlicher Ergebung über eure Führungen nachdenken, meine Brüder, die Pflicht, Geduld mit euch selbst zu haben, wird sich euch dann überall aufdringen, ihr werdet es fühlen, dass euch auch die Religion dazu verbindet.
Es ist noch überdies nützlich, diese Geduld zu beweisen; die Klugheit rät ebenso sehr dazu. Denn überleget selbst, wozu ihr euch entschließen müsst, wenn ihr keine Nachsicht mit euch haben wollt: entweder müsst ihr an euch selbst verzagen, und euch der trostlosen Vorstellung überlassen, dass ihr es nie zu einer gewissen Reife bringen werdet; oder ihr müsst in ein wildes Toben ausbrechen, müsst euch zu einer vergeblichen Wut erhitzen und grausam gegen euch selbst handeln. Wie mannigfaltig und groß sind dagegen die Vorteile, die euch die Geduld mit euch selbst gewährt! Sie erhält euch bei jener glücklichen Gleichmütigkeit, wo ihr eurer immer mächtig bleibt. Sie leitet euch zu einem immerwährenden Merken auf euer Inneres und zu einem fruchtbaren Nachdenken über den Gang und die Geschichte eures ganzen sittlichen Lebens. Sie lässt euch so Manches entdecken und finden, was euch entgangen sein würde, wenn ihr entweder schneller fortgeschritten, oder in Ungeduld ausgebrochen wäret. Sie erhöht und versüßt die Freude des Siegs, und mit je größerer Standhaftigkeit und Selbstverleugnung ihr es euch habt gefallen lassen, dass eure Versuche oft misslangen, desto inniger und reiner wird die Wonne sein, die ihr über einen günstigen Erfolg empfinden werdet. Sie ist endlich im glücklichsten Einverständnis mit eurer Hoffnung, diese Geduld; so lange sie in euch herrscht, erwartet ihr von der Zukunft Alles, was euch gegenwärtig noch fehlt; ihr seid versichert, was euch jetzt noch nicht von Statten gehen will, werde euch in der Folge immer leichter werden; ihr behaltet die grenzenlose Laufbahn vor Augen, auf der ihr, wenn ihr mit Geduld und guten Werken trachtet nach dem ewigen Leben, einst desto freier und ungehinderter zu jeder Art der Vollkommenheit emporstreben werdet.
Aber nicht umsonst, meine Brüder, nicht umsonst habe ich die Pflicht, die ich nun erklärt und bewiesen habe, gleich Anfangs denen beigezählt, von denen sich nicht ohne Schwierigkeiten sprechen lässt und die man leicht falsch verstehen und anwenden kann. Lasst mich also, ehe ich schließe, zu ihrer glücklichen Ausübung noch einige Erinnerungen beifügen.
Wollt ihr nämlich so Geduld mit euch haben, wie Vernunft, Religion und Klugheit euch gebieten, so verhütet auf alle Weise, dass diese Geduld nicht in Trägheit ausarte. Denn nichts kann sich leichter zutragen, meine Brüder, als diese traurige Verwandlung. Wem wird die Anstrengung nicht schwer, welche das Gute fordert? Wer fühlt es nicht, es sei lästig, mit Furcht und Zittern zu schaffen, dass man selig werde? Wen macht sein natürlicher Hang zur Gemächlichkeit nicht geneigt, oft unvermerkt nachzulassen; nicht mehr so viel zu tun, als er könnte, sondern sich mit einem geringeren Aufwande von Kraft zu begnügen; wohl gar nur obenhin und mit einer unverkennbaren Nachlässigkeit zu wirken. Ihr werdet, wenn euch euer Herz nicht täuscht, nicht eingestehen wollen, dass ihr an dem Misslingen eurer Bemühungen selber schuld seid; ihr werdet diese Fälle denen beizählen, wo ihr wirklich euer Möglichstes getan hattet, und sie diesen gleich schätzen; ihr werdet euch damit beruhigen, dass man Geduld mit sich selbst haben müsse. Aber brauche ich euch zu sagen, dass diese Pflicht bei solchen Umständen gar nicht weiter stattfindet; dass eine solche Geduld mit euch selbst nichts anders ist, als versteckte Trägheit, nicht anders, als ein Mangel an erforderlicher Treue, dem man einen guten Namen gibt? Sobald ihr euch das Zeugnis nicht mehr geben könnet, dass ihr bei Allem, was euch obliegt, allen euch möglichen Eifer beweiset; sobald es euch nicht mehr wehe tut, wenn euch eure Bestrebungen für das Gute ganz oder zum Teil misslingen; sobald ihr es mit Gelassenheit wahrnehmen könnet, das ihr weit hinter Andern zurückbleibt, und so gut, als ganz stille steht; sobald ihr merkt, es sei euch nur darum zu tun, eurer Geschäfte los zu werden, sie mögen übrigens ausfallen, wie sie wollen; sobald ihr diese Kennzeichen bei euch wahrnehmt, so habt ihr keine Geduld mit euch selbst, sondern eine strafbare Nachsicht; so habt ihr das feine gute Herz nicht mehr, das Früchte bringt in Geduld, sondern ihr seid unredlich und nachlässig geworden. Aber je leichter diese nachteilige Veränderung mit euch vorgehen kann, desto mehr habt ihr über euer Herz zu wachen, desto sorgfältiger zu verhüten, dass die Geduld mit euch selbst nicht in Trägheit ausarte.
Aber ebenso sorgfältig habt ihr vorzubeugen, dass sie kein Vorwand unordentlicher Neigungen werde. Denn lasst es uns eingestehen, jedes Herz hat seine schwache Seite; Jeder hat eine Neigung, die zu viel Gewalt in ihm behauptet, deren Beherrschung ihm außerordentlich schwer wird, die zu viel Annehmlichkeiten für ihn hat, als dass er immer mit dem nötigen Ernst wider sie verfahren sollte. Rechnet darauf, auf eure Nachsicht wird diese Neigung Anspruch machen; so strenge, entschlossen und fest ihr auch gegen die Andern sein möget, diese werdet ihr mit einer gewissen Schonung behandeln; und bricht sie in Handlungen aus, die ihr unmöglich verantworten und billigen könnet, so werdet ihr die Entschuldigung in Bereitschaft haben, dass man Geduld mit sich selber haben müsse. So betört sich der Eitle, der seinen Ehrgeiz nicht bekämpfen, so verblendet sich der Habsüchtige, der seinen Eigennutz nicht unterdrücken, so entschuldigt sich der Wolllustige, der seinem Hange zu Ausschweifungen keine Grenzen setzen, so beruhigt sich der Trunkenbold, der seine Neigung zur Völlerei nicht einschränken, so tröstet sich der Leichtsinnige und Heftige, der seine unbesonnene Lebhaftigkeit nicht mäßigen will: man muss Geduld mit sich selbst haben, sprechen diese Unglücklichen, wenn sie wieder einmal in einen Fehler verfallen sind und von ihrem Gewissen oder von Andern darüber zur Rede gesetzt werden; man muss Geduld mit sich selbst haben; wer hat sich immer so ganz in seiner Gewalt, dass ihn nicht zuweilen eine Schwachheit anwandeln und ein Fehler beschleichen sollte? Sie berufen sich dabei wohl gar mit unverschämter Frechheit auf Christum und sein Verdienst, und auf so manches Gute, das sie an sich haben und leisten, und behalten ihre Schoßsünde getrost bei. Aber wehe, wehe dem Elenden, der sich so betört; er hat noch gar kein Recht, Geduld mit sich selbst zu haben, weil ihm der wahre Glaube an Jesum, weil ihm der reine gute Wille fehlt, der gar nichts Böses bei sich duldet; nur eine Strenge, eine Strenge, die das Auge ausreißt, den Fuß abhaut, die Hand von sich wirft, die ihn ärgert, und die Glieder tötet, die auf Erden sind, kann ihn vom Verderben retten. Ihr müsst mit der größten Sorgfalt verhüten, dass die Geduld, welche ihr mit euch selber habt, nicht ein Vorwand unordentlicher Neigungen werde.
Und damit euch dies desto gewisser gelinge, so forscht endlich von Zeit zu Zeit fleißig nach, ob Früchte bei euch reifen? Denn nur so könnet ihr herausbringen, ob es euch mit eurer Besserung wahrer Ernst ist. Durch Früchte rechtfertigt und bewährt sich das gute Land. Seid ihr also gutes Land, ist ein wahrer, lebendiger Glaube an Gott und Jesum in eurem Herzen, ist der Vorsatz und Eifer, der aus diesem Glauben entspringen muss, Gott und Jesu zu allem Wohlgefallen zu wandeln, fest und redlich, so muss sich dies in eurem Verhalten zeigen; eurer Fehler müssen weniger, eure Neigungen müssen ordentlicher, eure guten Handlungen müssen zahlreicher, eure Pflichtleistungen müssen vollkommener werden; ihr müsst es merken können, dass es von einer Zeit zur andern besser mit euch wird, und euer Gewissen muss euch darüber Zeugnis geben. Nur dann, wenn ihr dieses Merkmal an euch findet, seid ihr berechtigt, Geduld mit euch selbst zu haben; denn dann ist sie nichts anders, diese Geduld, als die Gelassenheit, welche nichts vor der Zeit verlangt, welche es getrost abwartet, dass der, der das gute Werk in euch angefangen hat, es auch vollende zu seinem Preise. Er aber, der Gott aller Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, derselbige wird euch vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen; demselbigen sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.