Gerok, Karl von - Das Abendmahl ein Pilgermahl.
Beicht- und Abendmahlsrede über 2. Mos. 12, 11
von Karl von Gerok, Oberhofprediger in Stuttgart.
Text: 2. Mos. 12, 11.
Also sollt ihr's aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein, und eure Schutze an euren Füßen haben, und Stäbe in euren Händen; und sollt es essen, als die hinweg eilen; denn es ist des Herrn Passah.
So, meine Lieben, lautet der Befehl des Herrn ans Volk Israel über jenes merkwürdige Passahmahl, das sie feiern sollten vor dem Auszug aus Ägypten. Reisefertig, zum Weggang gerüstet, als ein Abschiedsmahl, als ein Pilgermahl sollten sie diese Mahlzeit halten.
Das erste Passahmahl hat von jeher gegolten als ein Vorbild und eine Weissagung auf das heilige Abendmahl, das Passah des Neuen Bundes. Und so findet auch jene Vorschrift über die Feier des Passahmahls ihre Anwendung in höherem geistlichem Sinne auf die Gäste an dem Tisch des Herrn. Auch das Abendmahl des Neuen Bundes ist ein Pilgermahl für die Gemeinde des Herrn. Und so lasst uns in dieser Andachtstunde darüber nachdenken:
Wie wir das heilige Abendmahl feiern sollen als ein Pilgermahl.
1) Den Gürtel um die Lenden;
2) die Schutze an den Füßen;
3) die Stäbe in den Händen.
Mein Teil ist nicht in dieser Welt,
Ich bin ein Gast auf Erden
Und soll, wenn diese Hülle fällt,
Ein Himmelsbürger werden.
Lass denn, Erlöser, mich schon hier
Mein Herz zu dir erheben;
Lass mich, entschlaf' ich einst in dir,
Dort ewig bei dir leben. Amen. 1)
Wie sollen wir, meine Lieben, das heilige Abendmahl feiern als ein Pilgermahl?
1. Mit dem Gürtel um die Lenden.
„Denn also, spricht der Herr, sollt ihr's essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein.“ Dürfen wir das geistlich deuten, so heißt es nichts andres als: wer zum Tisch des Herrn kommt, der muss auf sich selber achthaben, muss sich zusammennehmen, muss fern von aller Trägheit und Weichlichkeit, fern von allem Leichtsinn und aller Zerstreuung sich gefasst machen zum Hintritt vor Gottes Angesicht, zur Wanderschaft in die große Ewigkeit.
So gilt auch uns, Geliebte, alle Tage, so ganz besonders am Abendmahlstage, die Mahnung: um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein, d. h. mit andern Worten: sammelt eure Gedanken aus der Zerstreuung der Welt; nehmt euch zusammen in ernster Selbstprüfung; stellet euch im Geist vor Gottes Angesicht; macht euch gefasst auf die große Rechenschaft, der wir alle Tage entgegengehen; nehmt Abschied von der Knechtschaft Ägyptens mit seinen Ziegeln und mit seinen Fleischtöpfen, d. h. saget ab den Eitelkeiten der Welt, den Lüsten des Fleisches, den Banden der Sünde, dass ihr dasteht vor Gott, los und ledig aller fremden Ketten, fertig und bereit, ihm allein zur Ehre zu leben, zu leiden und zu sterben; das Antlitz stracks nach Jerusalem gerichtet, eingedenk der ewigen Heimat!
Eine solche Mahnung aber, unsere Lenden zu gürten, einen solchen Aufruf zur inneren Sammlung, zur Selbstprüfung, zur Buße, zur Weltverleugnung, zum neuen Eifer in der Heiligung den können wir ja wohl alle, meine Lieben, von Zeit zu Zeit brauchen.
Wir legen den Gürtel unsrer Seele so manchmal beiseite, d. h. wir machen's uns bequem in der Welt, lassen uns gehen nach dem Belieben unsers Fleisches, zerstreuen uns, sei es in irdischen Sorgen, sei es in zeitlichen Freuden, kommen in ein laues, träges, weltförmiges Wesen hinein und vergessen den Grundgedanken eines Pilgers Gottes: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Darum von diesem Abendmahlstische ergeht auch heute wieder die Mahnung: Gürtet eure Lenden! Sieh, liebe Seele, du trittst heute in der Beichte vor das Angesicht des heiligen und allwissenden Gottes, der dich erforscht und erkennt, besser als du selbst, und der alle deine Gedanken von ferne versteht: musst du da nicht vorher dich sammeln vor Gott, mit heiligem Ernst in dein Herz und Gewissen gehen und dich fragen: kann ich auch bestehen vor seinem Gericht? kann ich mich sehen lassen vor seinem Flammenauge?
Sieh, liebe Seele, du trittst morgen im Geist vor das Antlitz deines gekreuzigten Heilands, der auch deine Sünde trug, auch deine Schuld auf sich lud, auch für dich sein Blut vergoss zur Vergebung deiner Sünden. Musst du da nicht aufs Neue der Sünde absagen, aufs neue dich deinem Herrn zum Eigentum ergeben, aufs Neue den frommen Vorsatz fassen: weil meine Sünden dem Herrn Jesu die größten Schmerzen, ja den bitteren Tod verursacht haben, so soll ich an der Sünde hinfort keine Lust mehr haben, sondern dieselbe ernstlich fliehen und meiden?
Sieh, liebe Seele, du weißt nicht, ob es nicht dein letztes Abendmahl sei, zu dem du morgen kommst, ob nicht auch an dich bald der Ruf deines Gottes ergeht: Zeuch aus vom Lande deiner Fremdlingsschaft, mache deinen Abschied von dieser Welt, denn du musst fort, musst weg von ihren Freuden, in denen dir so wohl war, weg von ihren Gütern, an denen dein Herz hing, weg von ihren Sorgen, mit denen du deine Zeit umbrachtest, weg von allen deinen Freunden, mit denen du hienieden verbunden gewesen - hinüber in die Ewigkeit, in deine rechte Heimat, wer weiß ob in eine selige oder unselige? wer weiß ob zum Erbteil der Heiligen im Licht, oder in die finsteren Behausungen derer, zu denen der Herr sprechen muss: Weicht von mir; ich habe euch nie erkannt?
Geht dir nicht ein heilsamer Schauder durchs Herz bei solchen Gedanken? Regt sich nicht der fromme Entschluss in dir: was ich noch lebe im Fleisch, das will ich leben im Glauben des Sohnes Gottes, und mit neuem Eifer ihm dienen in meinem angewiesenen Beruf, mit neuer Treue auskaufen den Rest meiner Pilgerzeit? Stimmst du nicht ein in das fromme Gelübde:
Weich, eitle Welt, o Sünde, weich;
Gott hört es, ich entsage euch?
O siehe, das hieße das heilige Abendmahl feiern als ein Pilgermahl, das hieße seine Lenden gürten. Und dazu verhelfe der Herr uns allen, den Jungen wie den Alten, und rufe uns zu durch seinen Heiligen Geist :
Erheb, o Seele, deinen Sinn.
Was hängst du an der Erden?
Hinauf, hinauf, zum Himmel hin,
Denn du musst himmlisch werden!
Aber, meine Lieben, um das heilige Abendmahl zu feiern als ein Pilgermahl, sollen wir nicht nur um die Lenden gegürtet sein, d. h. uns zusammennehmen mit neuem Eifer in der Heiligung, sondern wir sollen auch tragen
2. Schutze an den Füßen,
d. h. wir sollen angetan sein mit Mut und Geduld unter den Beschwerden unsrer Wanderschaft, unter den Mühsalen dieser Erde. Die Schutze trägt der Wandersmann an den Füßen, um sich zu schützen gegen die Beschwerden des Weges, dass er hier nicht seinen Fuß an einen Stein stoße, dort nicht am Dornenstrauch sich blutig risse, im Schnee des Winters sich nicht erkälte, im Staub des Sommers sich nicht beflecke, im Schmutz der Straße sich nicht besudle. Auch der Pilger Gottes muss gefasst sein auf solche Beschwerden des Weges. Auch auf dieser Pilgerschaft über die Erde hin gibt's bald einen Stein des Anstoßes, über den wir hinweg müssen, bald Dornen der Widerwärtigkeit, an denen wir hängen bleiben, bald müssen wir durch den Staub irdischer Sorgen und Mühen, bald hängt sich der Schmutz übler Nachreden an unsere Fersen.
Da gilt's denn auch den Pilgern Gottes: ihr sollt eure Schutze an euren Füßen haben, d. h. waffnet euch mit Mut und Geduld unter den Leiden dieser Zeit, lasst's euch nicht zu nahe gehen, wenn ihr auch etwas erfahren müsst vom Jammer dieser armen Welt; tretet die Erde unter eure Füße mit der trostvollen Hoffnung: dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden.
Solchen Mut und solche Geduld, solchen Trost und solche Hoffnung, wo, meine Lieben, sollen wir sie besser finden und freudiger in uns erneuern können, als eben beim gläubigen Hintritt zum Tische des Herrn?
Sehen wir doch hier bei diesem Gedächtnismahle den vor Augen, der als ein heiliger Pilger Gottes den rauesten Weg hienieden gewandelt, die blutige Marterstraße nach Golgatha gegangen ist. Sollten wir nicht im Ansehen auf ihn, den Anfänger und Vollender unsers Glaubens, aufs neue Geduld lernen in dem Kampfe, der uns verordnet ist, und zu unserm Herrn und Meister sprechen:
Durch Dornen gingst du selbst zum Ziele hin,
Ich folge dir, weil ich dein Jünger bin!
Wird uns doch hier in diesem Gnadenmahl angeboten das, was alles Leid versüßen und allen Schmerz lindern kann: die Liebe Gottes, von der nichts uns scheiden darf, der Friede Christi, den die Welt nicht geben und nicht nehmen kann, die Kraft des Heiligen Geistes, davon das Herz jung wird und auffährt mit Flügeln wie ein Adler. Solltest da nicht auch du, lieber Mitpilger, was du auch für eine Last auf dem Herzen, für ein Kreuz im Hause, für einen Stein im Wege haben mögest, solltest nicht auch du wieder fröhlich und getrost werden in dem Gedanken:
Ich bin Gottes, Gott ist mein,
Wer ist, der uns scheide?
Und ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?
Empfangen wir doch, Geliebte, in diesem himmlischen Friedensmahl, wo wir im Hause Gottes, am Tisch Gottes, als Kinder Gottes versammelt sind in seliger Gemeinschaft, empfangen wir doch da einen Vorschmack jenes seligen Beisammenseins im oberen Vaterhaus, jenes großen Abendmahls, das der Herr mit den Seinigen feiern will in seines Vaters Reich. Sollte da nicht unser Herz getrost werden in der Hoffnung:
Gottlob, ich weiß mein Vaterland,
Dem jeder Tag mich näher leitet?
Sollten wir da nicht auch unter den Leiden dieser Zeit unsere Seele in Geduld fassen, und himmelan blicken in der seligen Zuversicht:
Dort ist das rechte Kanaan,
Wo Lebensströme fließen;
Blick oft hinauf, der Anblick kann
Den Leidenskelch versüßen?
Ja, meine Lieben, seine Seele fassen in Geduld unter den Leiden dieser Erde, das heißt Schutze an den Füßen haben. Und nun tut noch eins not, damit wir das heilige Abendmahl feiern als ein Pilgermahl, nämlich:
3. Der Stab in unsern Händen.
„Und sollt Stäbe in euren Händen haben“, so ruft der Herr dort seinem auswandernden Volke, so ruft er auch heute noch seiner pilgernden Gemeinde zu.
Und welches ist der Stab in unsrer Hand? Welches ist der rechte Stab des Gottespilgers, der nicht bricht und nicht wankt, der Stab, mit dem ich durchs Wasser und durchs Feuer gehen, über Felsen steigen und durchs dunkle Trübsalstal wandern, meiner Schwachheit aushelfen und alle meine Widersacher aus dem Felde schlagen kann? Euer Herz hat selber schon die Antwort gegeben. Dieser Pilgerstab des Christen ist sein Glaube. Ja, wer diesen Stab in der Hand hat, der wird nicht straucheln noch fallen, nicht wanken und zittern, denn er spricht: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab tröstet mich!
Wohlan, liebe Seele, nimm den Stab wieder fest in die Hand, den Stab des Glaubens. Siehe, hier am Tisch des Herrn, da will dir der Herr selber den Stab wieder aufs Neue in die Hand geben. Hat er nicht sein heiliges Abendmahl eingesetzt zur Stärkung unsers Glaubens? Reicht er uns da nicht die beste Stütze für unser armes Herz, wenn er uns zuruft: Das ist mein Leib, für euch gegeben, das ist mein Blut, für euch vergossen? Und wenn wir mit kindlichem Glauben seine Gnade ergreifen, wenn wir seine dargestreckte Heilandshand recht innig und fest fassen, will er nicht selber unser Stab und unsere Stütze sein und uns stärken auf Schritten und Tritten, und uns begleiten auf allen unsern Wegen und uns hinführen ins himmlische Vaterland?
Wohlan, du Pilger Gottes, nimm den Stab in deine Hand, fasse mit neuem Glauben, mit neuer Liebe, mit neuer Treue deines Heilands Hand und dann vorwärts in Gottes Namen er führet dich auf rechter Straße, er bringt dich heim ins Vaterland. Nun, treuer Heiland, du Anfänger und Vollender unsers Glaubens, gib du selber diesen lieben Seelen allen den rechten Wanderstab in die Hand, und die rechten Pilgerschuhe an die Füße und den rechten Gurt um die Lenden. Ja, sei du selber der Gürtel unsrer Lenden, die Leuchte unsrer Füße, der Stab in unsern Händen.
Ordne unsern Gang, Jesu, lebenslang;
Führst du uns auf raue Wege,
Gib uns auch die nöt'ge Pflege.
Tu uns nach dem Lauf
Deine Türe auf! Amen. 2)