Bartholomäi, August Friedrich Wilhelm Rudolf - Predigt am Sonntag Quasimodogeniti
Von Stadtpfarrer R. Bartholomäi in Wildbad.
Ev. Joh. 20, 19-23. (I. Jahrgang.)
Am Abend aber desselbigen ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten ein und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermal zu ihnen: Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und da er das sagte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
Im Namen Jesu Christi! Als der Hirte geschlagen wurde und dem Kreuzestode überantwortet, misshandelt auf alle Art in der Sünder Händen, als so seine Sache eine verlorene schien, da wurden die Schafe seiner Herde zerstreut; die Männer noch viel mehr von Angst gepeinigt und von Schrecken verscheucht, als die Frauen. Freilich drohte auch härtere Verfolgung den Männern, als den Frauen, von welchen man nichts befürchtete, und die man nach der Welt Weise mit Spott, übler Nachrede und Lästerung unschädlich machen konnte. Darum sammelten sich die Männer hinter verschlossenen Türen aus Furcht vor den Juden. Wenn es ihrem Herrn und Meister also ging, konnte es ihnen nicht auch also geschehen?
Wo aber ist der Bekennermut, den Jesus von ihnen fordert? Wo ist das Zeugnis, das sie von ihrem Glauben geben sollten? Ach, sie hatten das Zeug noch nicht dazu, sie waren noch nicht angetan mit Kraft aus der Höhe. Doch haben sie nicht abgerissen von ihrem Herrn und Heiland, er war ihnen unwandelbar teuer und wert, und die Welt war ihnen nur noch mehr eine Fremde geworden. Der Auferstandene hat sich eben darum ihrer auch angenommen und ihnen zurechtgeholfen. Hatte er doch selbst zu ihnen gesagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Wir Alle blieben stecken mit unserem Christentum, wenn Jesus nicht der treue Hirte seiner Schafe wäre bis in die Ewigkeit hinein. Ihm sei Lob und Dank dafür! So ist er am Abend nach seiner Auferstehung laut dem heutigen Evangelium zu seinen Jüngern, die er für das Apostelamt bestimmt hatte, eingetreten, und wir lesen die wunderherrlichen, aller Betrachtung werten Worte: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“ Fragen wir: Was hatten sie davon und was haben wir davon? Antwort: Friede, und abermal Friede.
Ach mein Herr Jesu! dein Nahesein
Bringt großen Frieden ins Herz hinein,
und dein Gnadenanblick
Macht uns so selig,
Dass Leib und Seele darüber fröhlich
Und dankbar wird.
Du reichst uns deine durchgrab'ne Hand,
Die so viel Treue an uns gewandt,
Dass wir beim Gedächtnis
Beschämt dastehen,
Und unser Auge muss übergehen
Vor Lob und Dank. Amen.1)
Geliebte Freunde! So kurz die Worte lauten: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen“, eine so große Wirkung und Wandlung zeigen sie an, und so viel schließen sie für die Jünger und für uns in sich. Was hatten sie davon, und was haben wir davon? Jesus spricht mitten unter sie tretend:
I. „Friede sei mit euch!“
Ein damals wohl gewöhnlicher, oft gedankenlos gesprochener Gruß, aus dem Munde Jesu aber ein Gruß von wunderbarer Wirkung. Da stand er lebend und leibhaftig unter ihnen, und ohne weitere Worte zeigte er den Jüngern die Hände und seine Seite. Siehe das ist derselbe, den sie gekreuzigt haben, der als Lamm Gottes die Sünde getragen und Versöhnung und Friede gemacht hat; derselbe, durch dessen Wunden ihr seid heil worden. Alle Gottesverheißungen sind Ja und Amen in ihm, er lebt durch die Herrlichkeit des Vaters, er gedenkt euer auch ungesehen, er ist und bleibt euer Heiland auch in des Vaters Reich. Darum: „Friede sei mit euch!“ Auch eure Schwachheit, euer Straucheln, eure bisherige Kreuzesflucht und Weltfurcht ist euch vergeben, das Alte ist vergangen, es geht ein Neues an. Der Grund und Boden des Neuen Testaments, auf dem ihr steht, ist der Friede mit Gott, den Jesus für euch gemacht, und vor euch liegt der Zugang zu Gott und zu seinem Himmelreich, den er, des Menschen Sohn, für euch aufgetan hat. O, ist es da ein Wunder, wenn die Jünger froh wurden, dass sie den Herrn sahen? Ist's ein Wunder, wenn die Furcht von ihnen wich, da sie sahen, Jesus ist wahrhaftig stärker als seine Feinde, mächtiger als die dem Todesgericht verfallene Welt, ja stärker als Tod und Grab, als Satan und Hölle? O welch ein Meer von Gottesfrieden wallte da durch ihre Seelen! Und welch einen Heiland haben wir, der da spricht: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden;“ „in mir habt ihr Friede!“ Denn Jesus lebt nicht nur für jene ersten Jünger, er lebt auch für uns, wie er in seinem hohepriesterlichen Gebet nicht nur für Jene gebetet hat, sondern für Alle, welche an ihn glauben werden. Er weiß wohl, mit welchen Zweifeln, mit welcher Furcht und Not auch die zu ringen haben, die redlich an ihn glauben und des Heils froh werden möchten. Er hat es uns selbst gesagt, dass wir ohne ihn nichts tun können, ohne ihn unseren Glauben und unsere Nachfolge, kurz unser Christentum nicht durchzusetzen vermögen einer Welt gegenüber, welche voll Schmeichelei und Verführung und wiederum voll Drohens und Ungerechtigkeit ist, voll unbußfertiger und unwahrer, voll liebloser und lästersüchtiger Leute, die Gottes Wohltaten zwar annehmen und sich zu nutz machen, aber den heiligen und sittlichen Ernst des Christentums hassen und von den ewigen Dingen nichts wissen wollen. Weil er denn dieses alles weiß, so kommt er denen, die sich herzlich nach ihm sehnen, zu Hilfe und lässt sie seinen Beistand und seine lebendige Nähe spüren und stärket sie und spricht: Friede sei mit euch! Das wissen, Gott sei Dank! Alle die an ihm bleiben und mit denen, welche gleichgesinnt sind, zusammenhalten und sein Angesicht suchen. Aber weiter. Als Jesus sich als den lebendigen, als ihren wahren Heiland offenbart hatte und ihr Herz mit Friede und Freude gestillt, da spricht er
II. „Abermal: Friede sei mit euch!“
Friede! und abermal Friede! Wie denn? Was soll das für jene Jünger und was für uns? Jesus erklärt es selbst indem er spricht: „Gleich wie mich mein Vater gesandt hat, also sende ich euch.“ Sie sollen den Frieden, den er gemacht und den er ihnen ins Herz geschenkt, als seine Boten weiter tragen hinaus in die Welt und sollen das Evangelium des Friedens treiben in der friedlosen Menschheit. Wo sie einer verirrten, armen, schuldbeladenen Menschenseele helfen können zu dem Frieden, welcher höher ist als alle Vernunft, und auf den Weg des Friedens, durch ihn und in ihm, da sollen sie es tun, selbst wenn sie darum zu leiden haben. Hat ja Christus auch für sie gelitten Schmach und Verfolgung, Kreuz und Tod. Ja, sie werden als seine Apostel förmlich beauftragt zu führen das Amt, das die Versöhnung predigt mit Gott und unter einander, dass vergeben und abgetan werden die Sünden und Verschuldungen, welche die Menschen von Gott und voneinander scheiden. Dazu stärkt er sie mit seinem Frieden und mit dem Auftrag und der Vollmacht, den Frieden zu verkündigen in seinem Namen, wie wenn er es selber wäre. „Und da Jesus das sagte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Wie der Vater mit dem Sohne auf Erden war, als er das Werk, das ihm befohlen war, ausrichtete und den heiligen und gnädigen Vaternamen Gottes den Menschen offenbarte, die an ihn glaubten, so will der Sohn, der Heiland im Himmel, mit seinen Boten auf Erden sein, auf dass die an ihn durch ihr Wort glauben, Vergebung ihrer Sünde empfangen und Kinder Gottes werden. Und Jesus der Auferstandene ist es, der zum Amt des Evangeliums den Heiligen Geist gibt und Gnade zum Predigen wie zum Hören. Denn wir alle stehen unter ihm, der unter den Gemeinden wandelt, und von ihm ist das Heil und die Vergebung und der Friede, wie das Wort und der Heilige Geist mit seiner Herz und Gewissen, Seele und Gemüt durchdringenden Wirkung. Es ist freilich das Amt, Sünden zu vergeben und Sünden zu behalten, schon unverantwortlich missbraucht und dadurch kraftlos, heillos, trostlos worden, wir wissen das aus der Reformationsgeschichte und von dem Gräuel des Ablasshandels; aber der Missbrauch hebt den Befehl des Herrn nicht auf. Und wenn es auch gegenüber dem schriftmäßigen Predigtamt und der evangelischen Verkündigung der Vergebung und Behaltung der Sünden noch Leute gibt, die wie jene Pharisäer sprechen: Wie kann ein Mensch Sünden vergeben? so steht hier Jesus Christus, der große Hohepriester vor Gott und einzige Sündentilger, mit seinem Befehl und Vollmacht, den Jüngern zur Predigt des Evangeliums mitgegeben. Andere ließen sich das Vergeben schon gefallen, aber dass ihnen ihre Sünden behalten werden sollen, das ärgert sie und dagegen protestieren sie. Doch wird ein unbußfertiger und unbekehrter Mensch nie und nimmermehr an der Predigt des Evangeliums und an Jesu vorbei ins Himmelreich kommen. Wem es aber ein Ernst ist um die Vergebung und den Frieden seiner Seele, der ist froh, dass der Herr selbst geboten hat, schon jetzt in dieser Zeit und in diesem Erdenleben ihn der Vergebung zu versichern, und dass er derselben nicht ungewiss sein muss bis vor den Richtstuhl Christi. Und woher sollte einem Prediger des Evangeliums, der ja auch ein Gnade Bedürftiger, für Schmach und Kreuz empfindlicher Mensch ist, der Mut zu seinem Amte kommen, wenn er es sollte von sich aus tun, und wenn das Amt nicht des Herrn wäre? Nicht ein Wort der Wahrheit und des Trostes und Friedens könnte man mit Zuversicht sagen, wenn nicht der ewig lebendige Heiland darüber stünde, der dazu spricht: Friede sei mit euch! und abermal: Friede sei mit euch! Darum lobet den Herrn alle, die an ihn glauben und denen er den Frieden gegeben hat! Deren Herz ist froh geworden, sie haben den Herrn gesehen! Amen.